Schützenhilfe für den „Great Reset“

Version auf prmaximus

Wilhelm Rotthaus:

Wir können und müssen uns neu erfinden

Heidelberg 2021

 

Rezension

 

Wilhelm-Rotthaus
Buchtitel "Wir können und müssen uns neu erfinden" - Bildschirmkopie aus amazon kindle

Man kann dieses Buch als Schützenhilfe für den vom Weltwirtschaftsforum (WEF) verkündeten „Great Reset“ betrachten. Das deutet schon der Titel an, der den alten sozialistischen Traum vom „neuen Menschen“ anklingen lässt. Nur einen Unterschied zu den Fantasien von Klaus Schwab, Yuval Harari und anderen gibt es: Dieser neue Mensch soll nicht verchipt und mit künstlicher Intelligenz verbunden sein, sondern „nur“ durch staatlichen Zwang, Umerziehung und Einsicht ist das vermeintlich Notwendige geschaffen werden.

Dazu muss – wie es in den vom WEF herausgegeben Büchern von Klaus Schwab und Thierry Malleret zum „Großen Umbruch“ und zum „Großen Narrativ“ geschieht – erst einmal Panik geschürt werden. Sogar die längst dem Spott preisgegebene Studie des Club of Rome von 1972, „Die Grenzen des Wachstums“, ist dem Autor dafür nicht zu schade. Ginge es nach dieser Veröffentlichung, wären die Vorräte an Erdöl, Erdgas und anderen Rohstoffen bereits im vorigen Jahrhundert erschöpft gewesen. Rotthaus ist diese Kritik offenbar bewusst, denn er versucht sich mit der Behauptung zu retten, „die Studie sei immer wieder aktualisiert und überprüft, aber nicht grundsätzlich widerlegt worden“ (S. 10) – offenbar so, wie manche Sekten ihre Weltuntergangsdaten „aktualisieren“, wenn wieder einmal eines davon verstrichen ist, und wie der Weltklimarat seine Prognosen aktualisiert, wenn sie sich wieder einmal als falsch erwiesen haben; was die Politik nicht daran hindert, diesen Prognosen zu folgen. Oder folgt vielmehr der Weltklimarat der Politik?

 

Feindbild Individualität

Noch verräterischer als der Haupttitel des Buches ist sein Untertitel: „Am Ende des Zeitalters des Individuums – Aufbruch in die Zukunft“. Es geht also um nichts weniger als um die Abschaffung der Individualität, die schon Igor Schafarewitsch („Der Todestrieb in der Geschichte“) als Grundlage des Sozialismus erkannt hat. „Das Individuum“, so meint Rotthaus, habe „in seinem Bedürfnis, sich die Erde und alle Lebewesen untertan zu machen und sie zu seinem eigenen Nutzen auszubeuten, einen Zerstörungsprozesse [sic] in Gang gesetzt, der kaum noch zu bremsen und aufzuhalten ist“ (S. 101).

Am Autor scheint vorübergegangen zu sein, dass bereits vor einem halben Jahrhundert ein umgekehrter Prozess in Gang gesetzt wurde, der, jedenfalls in den westlichen Industrienationen, zu einer Regenerierung der Umwelt geführt hat. Flüsse als stinkende Kloaken, saurer Regen, Smog: Das gehört hier weitgehend der Vergangenheit an. Gewiss, in anderen Ländern ist noch viel zu tun, aber auch dort wächst das Umweltbewusstsein.

Eigenartigerweise kritisiert Rotthaus an gleicher Stelle, dass der Mensch mit „seinem mechanistischen und interventionistischen Ursache-Wirkungs-Denken […] nicht bereit oder nicht in der Lage“ sei, „die Eigendynamik und die ökologischen Prozesse des komplexen Systems Erde mit all ihren Lebewesen zu verstehen“. Wie anders aber sollte der Mensch dazu in der Lage sein als durch eben dieses Ursache-Wirkungs-Denken, also das Wissen, welche Folgen aus welchen Handlungen resultieren? Und warum kritisiert der Autor hier interventionistisches Denken, wo er doch selbst, wie wir gleich sehen werden, staatlichen, ja globalen Interventionismus im Exzess fordert?

 

Rückfall ins frühe Mittelalter

Als Begründung, dass ein „neuer Mensch“ prinzipiell möglich ist, verweist Rotthaus auf den Wandel des Menschenbildes vom Früh- zum Hochmittelalter, dem er fast die Hälfte des Buches widmet.

Damals, im 12. Jahrhundert, sei die „Idee des Menschen als Individuum“ erst erfunden worden (S. 19); also könne sich die Menschheit ja wieder zurückerfinden. Richtig ist, dass die Religion eine übermächtige Rolle spielte und für individuelle Entfaltung wenig Raum bestand (übrigens noch bis in die frühe Neuzeit!). Der Mensch wurde aber durchaus als Individuum gesehen, das sich als solches vor Gott beim Jüngsten Gericht für sein Denken und Handeln persönlich verantworten musste.

Wenn sich Rotthaus nach einem solchen Menschenbild sehnt, findet er es noch heute in streng islamischen Gesellschaften wie Afghanistan oder dem Iran, wo Staat und Religion nicht getrennt sind und sich jeder dem religiösen Gesetz unterordnen muss.

Aber können wir im aufgeklärten Westen überhaupt zurück? Man sollte meinen: nein. Doch tatsächlich hat eine solche Rückentwicklung bereits eingesetzt. Die neuen Religionen heißen menschengemachte Klimakatastrophe, Gleichheit, „Gender“ und „Wokeness“. Wir sind tatsächlich wieder soweit, dass wir uns quasi-religiösen Ideologien unterordnen müssen, wenn wir nicht gesellschaftliche Ächtung erfahren und in unseren beruflichen Chancen behindert werden wollen.

 

Feindbild Marktwirtschaft

Ganz der sozialistischen Linie folgend wettert Rotthaus in einem „Märchen vom Herrn Markt“ (S. 116ff), einem von Strohmannargumenten durchzogenen spekulativen Ausblick, gegen einen freien Markt, obwohl der nirgends existiert und immer mehr durch planwirtschaftliche Ambitionen des Staates eingeschränkt wird. Wenn Rotthaus in diesem Zusammenhang die „Bankenrettung“ kritisiert, übersieht er, dass dies ja gerade keine markt-, sondern eine planwirtschaftliche Maßnahme war, die sich gegen die Selbstreinigungskräfte des Marktes richtete. Auch die Behauptung „Herr Markt verfügte über genügend Vasallen, die die Schülerinnen und Schüler [die an den „Fridays for Future“ demonstrierten] aufforderten, doch erst einmal die Schule zu besuchen und den Katechismus des Herrn Markt zu lernen“ geht an der Realität vorbei; sind doch die FFF-Demonstranten auf breites Verständnis der Politik gestoßen und mussten nicht die sonst üblichen Folgen des Schulschwänzens tragen; mehr noch: der „Klimaschutz“ wurde längst zur Staatsdoktrin erhoben und sogar im Grundgesetz verankert. Mithin kann auch keine Rede davon sein, dass vermeintliche „Forschungsergebnisse, die deutlich machen, dass ein ‚Weiter so‘ die Bewohnbarkeit des Planeten durch den Menschen in Gefahr bringt […] nicht zu Kenntnis genommen oder bagatellisiert“ werden“ (S. 129).

Von Aufbruch ist noch nichts zu spüren“, heißt es eine Seite später. Ist dem Autor entgangen, dass er wegen dieses „Aufbruchs“ in Deutschland die höchsten Energiepreise der Welt bezahlt, aufgefordert wird, im Winter weniger zu heizen und trotzdem befürchten muss, dass wegen einer Mangellage die Stromversorgung ausfällt?

 

Feindbild Freiheit

Auf S. 152 schließt sich Rotthaus besonders deutlich den Plänen des WEF an: „In Zukunft […] werden wir einen starken, demokratisch legitimierten Staat benötigten [sic], der die Verantwortung dafür übernimmt, klare Regeln und Vorgaben zu machen und zu kontrollieren, nach denen das Zusammenleben der Menschen verläuft.“ Als Beispiel nennt er die „Corona-Epidemie“ (erstaunlich, dass er nicht das Narrativ der „Pandemie“ übernimmt; vermutlich nur eine Gedankenlosigkeit). Wohin die staatlichen „Corona“- Maßnahmen geführt haben, ist heute zwar deutlicher ersichtlich als 2021, als das Buch veröffentlicht wurde, war aber für jemanden, der das von Rotthaus abgelehnte „Ursache-Wirkungs-Denken“ angewandt hat, schon damals absehbar.

Der Staat soll „eine Steuerungsfunktion für die Wirtschaft übernehmen“ (S. 152) – mit anderen Worten: Planwirtschaft. Als hätten wir nicht an den sozialistischen Diktaturen gesehen, wohin das führt. Und inzwischen ist die Planwirtschaft auch in der Bundesrepublik so weit fortgeschritten, dass das Land immer mehr an Wettbewerbsfähigkeit verliert, die Infrastruktur verfällt, die Energieversorgung wackelt und die Menschen an Wohlstand einbüßen. Für Rotthaus ist es offenbar noch nicht genug.

Weiterhin müsse der Staat „gewährleisten, dass die privaten Akteure die von ihnen geforderten gemeinwohldienlichen Organisationsleistungen tatsächlich erfüllen“ (S. 153).

Das „Gemeinwohl“ war schon immer das Argument der Faschisten, und man kann scheinbar alles damit begründen: Grundrechtseinschränkungen wegen einer „Pandemie“, Abschaffung des Bargelds und Totalüberwachung wegen Kriminalität, Umverteilung und Enteignung zur Bewahrung des „sozialen Friedens“, Milliarden für einen fremden Krieg zum angeblichen Schutz des eigenen Landes, Zensur im Dienst einer vermeintlichen Wahrheit, in deren Besitz natürlich nur die Regierung ist.

 

Sippenhaft

Doch damit ist es noch immer nicht genug. Rotthaus macht sich sogar linksextremistische Forderungen im Bereich des Strafrechts zu eigen. Er geht davon aus, „dass sich die Zweifel an einer nahezu unbegrenzten Willensfreiheit des Menschen weiter verstärken werden“ (S. 167) und verweist auf neurologische Befunde, wonach Handlungsimpulse im Gehirn auftreten, noch bevor sie dem Menschen bewusst werden. Das ist freilich ein grundsätzliches Phänomen und ändert nichts an unserem subjektiven Empfinden, selbst zu denken und Entscheidungen zu treffen. Wenn ein Verbrecher zu seiner Tat „getrieben“ wird, dann wird auch ein Richter zu seinem Urteil getrieben, Rotthaus wurde zu seinem Buch getrieben, und ich zu meiner Rezension. Wer einem Menschen die Verantwortung für seine Taten abspricht, degradiert ihn zu einer Maschine – noch bevor die Transhumanisten ihn in eine solche verwandelt haben.

Auch hier sollen wir uns das frühe Mittelalter zum Vorbild nehmen: „Diese grundlegenden Annahmen unseres heutigen Strafrechts [das „Prinzip der individuellen Schuld“] sind mit der Erfindung des Individuums im 12. Jahrhundert entwickelt worden“ (S. 167). Doch wie bereits gesagt, wurde das Individuum nicht im 12. Jahrhundert erfunden, und die Prinzipien des heutigen Strafrechts auch nicht. Sie finden sich im wesentlichen bereits im antiken römischen Recht.

Rotthaus plädiert dafür, dass das Schuldprinzip durch „die Verantwortung des Täters für sein zukünftiges Verhalten“ ersetzt wird (S. 168). Da fragt man sich, wie ein Täter, der angeblich keine Verantwortung für eine begangene Tat übernehmen kann, Verantwortung für zukünftiges Verhalten übernehmen soll?

Das altlinke Klischee, die „Gesellschaft“ sei für Verbrechen verantwortlich, lässt denn auch nicht lange auf sich warten (S. 169): „Wenn das Handeln eines Menschen […] die Gemeinschaftsleistung des relevanten Bezugssystems darstellt, dann müssten auch die Mitglieder dieses Bezugssystems in die Verantwortung für ein zukünftig straffreies Handeln des Täters durch entsprechende Auflagen mit einbezogen werden.“ Also Sippenhaft? „Auflagen“ für die Eltern des Täters, für weitere Verwandte, seine Lehrer, seine einstige Kindergartentante, für Freunde, Arbeitskollegen, Sozialarbeiter, die Koranschule? Besonders interessant wird es bei kriminellen Zuwanderern, wenn man einem „Bezugssystem“ etwa in Syrien oder Somalia Auflagen erteilen will. Es läuft wohl – der Autor ist Arzt und Psychotherapeut – auf eine Art Therapie hinaus. Nur: Strafe und Therapie schließen sich nicht gegenseitig aus. Und man kann einen Täter zwar einsperren, aber nicht zu einer Therapie zwingen, denn die erfordert seine Mitarbeit; und für das „Bezugssystem“ gilt das erst recht.

 

Weltdiktatur

Der Autor wünscht sich, was normalerweise als Verschwörungstheorie gebrandmarkt wird: „weltweit zuständige Ministerien für Gesundheit und für Umwelt [...] Dies könnte ein erster Schritt zu einem Weltstaat und zu einer Weltregierung sein, die in der längeren Perspektive als eines der großen Ziele der Menschheit angesehen werden muss“ (S. 154).

Dies wird mit einem fiktiven Interview aus dem Jahr 2252 weiter ausgeführt, in welchem rückblickend von einer Zunahme der Wetterkatastrophen und einem dramatischen Anstieg des Meeresspiegels „in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts“ schwadroniert wird, wovon bis jetzt jedenfalls keine Rede sein kann (auch wenn in gewissen Medien das Gegenteil behauptet wird). Schließlich sei es gelungen, „die UNO zu einer Weltregierung weiterzuentwickeln“ (S. 175). Denn „auf dem Höhepunkt der Krise brauchte die Welt eine starke Macht, die unangenehme und sehr einschränkende Maßnahmen durchsetzen konnte“ (S. 176).

Das folgt dem Prinzip des Herrschens durch Angst, das sich unsere Politiker bereits jetzt zu eigen gemacht haben, indem Krisen geschaffen (Corona, Energiemangel, Inflation, Krieg) oder erfunden (Klimakatastrophe) wurden. Die dystopische Vision des Autors beinhaltet zudem, dass „jeder Mensch auf dieser Welt das gleiche Recht [!] auf Wohlstand hat“, also auch ohne selbst irgendetwas zu leisten, und dass jeder neben seiner Steuererklärung seine ökologische Fußabdruckerklärung abgeben muss“. Das soll „zu sehr schmerzhaften Ausgleichszahlungen“ führen. Oh, da ist der Mensch dann doch für seine „Taten“ verantwortlich und soll dafür büßen?

Dass es in einem solchen planwirtschaftlichen Szenario allgemeinen Wohlstand überhaupt nicht geben kann, hat Sozialisten noch nie gestört. Aber wir sollen hier wohl den „neuen Menschen“ in Rechnung stellen, für den psychologische und ökonomische Gesetze nicht mehr gelten. Marx musste es ja wissen.

Im frühen Mittelalter regierten Kaiser, Lehnsherr und Kirche mit harter Hand und legten die engen Grenzen fest, innerhalb derer man sich – auch gedanklich – bewegen durfte. Das wünscht sich Rotthaus offenbar zurück – allerdings unter der Knute eines Weltstaats, verbunden mit den perfekten digitalen Überwachungsmethoden der heutigen Zeit. Die Steuern und Abgaben werden – wie schon heute – natürlich weit höher als der mittelalterliche „Zehnt“ sein und außerdem um so höher ausfallen, je weniger man sich der herrschenden Doktrin unterordnet.

Die bis jetzt bei Amazon geschriebenen Rezensionen, wenn es auch nur vier sind, vergeben alle die beste Bewertung von fünf Sternen. Die sozialistische Rattenfängerei scheint also zu funktionieren. Wozu braucht der Autor einen „neuen Menschen“? Der alte ist dumm genug.

 

 

Paypal-Spende | Patreon-Spende

Herzlichen Dank!